Wie der Pflegekräftemangel das Gesundheitssystem strapaziert

Der Mangel an Pflegekräften zählt zu den größten Herausforderungen des Landes und dürfte sich in den kommenden Jahren weiter zuspitzen. ExpertInnen fordern rasche und umfassende Maßnahmen, um qualitative Pflege auch in Zukunft gewährleisten zu können.

Anja Bauer

Ausgelastete Betten, unterbesetzte Stationen, überarbeitetes Personal – solche Szenen gehören in vielen Pflegeeinrichtungen längst zum Alltag. Das Problem des Pflegekräftemangels ist vielschichtig. Während einerseits der Pflegebedarf stetig steigt, nimmt gleichzeitig die Attraktivität des Pflegeberufes ab. Schwere psychische und körperliche Arbeitsbedingungen, ungesunde Arbeitszeiten und ein schlechtes Image tragen dazu bei.

Bei Denise List, einer Gesundheits- und Krankenpflegerin, die im Urologenzentrum Wien arbeitet, haben diese Faktoren schließlich zu einer posttraumatischen Belastungsstörung und einer arbeitsbedingten Depression geführt. „Ich war ein halbes Jahr zu Hause, weil ich nicht mehr arbeiten konnte“.

Steigender Pflegebedarf

Laut der Pflegepersonal-Bedarfsprognose der Gesundheit Österreich GmbH braucht Österreich bis zum Jahr 2030 rund 51.000 weitere Pflege- und Betreuungspersonen. Der demografische Wandel sowie die bevorstehende Pensionierungswelle der Babyboomer-Generation tragen maßgeblich dazu bei. Laut Zahlen der Statistik Austria wird die Gruppe der über 65-jährigen Menschen ausgehend vom Jahr 2023 bis 2050 um rund 28 Prozent steigen. Gleichzeitig sinkt der Anteil der erwerbsfähigen Bevölkerung.

Die hohe Drop-Out-Quote in der Pflege verschärft laut Österreichischem Gewerkschaftsbund die Personalengpässe. Demzufolge kann sich ein Großteil der heute fertig gelernten Pflegekräfte nicht vorstellen, den Beruf bis zur Pensionierung auszuüben.

Auf die Frage, ob sie ihren Berufsweg mit der jetzigen Erfahrung ein zweites Mal einschlagen würde, antwortet List: „Ich glaube im Moment ja. Es gab aber auch eine Zeit, in der ich definitiv nein gesagt hätte.“ Mit dieser Aussage bezieht sich List auf ihre persönlichen Erfahrungen mit psychischer Belastung am Arbeitsplatz.

Schlechte Aussichten fürs Gesundheitssystem

Maßnahmen zur Deckung des Personalbedarf sind ExpertInnen zufolge dringend notwendig. Ansonsten könnte es in Österreich zukünftig zu Versorgungsengpässen, längeren Wartezeiten und Behandlungsfehlern kommen. Christine Schweisser vom Österreichischen Gesundheits- und Krankenpflegeverband (ÖGKV) sagt: „Es braucht ein Umdenken, wie man Pflege gestaltet“.

Dem Fachkräftemangel entgegenwirken

Das Problem des Pflegekräftemangels ist längst in der Politik angekommen. Das aktuelle Regierungsprogramm sieht einen Ausbau des ambulanten Versorgungsangebotes, Fachkräfteoffensiven im Ausland sowie Entbürokratisierungs- und Digitalisierungsbestrebungen zur Stärkung der professionellen Pflege vor.

Der ÖGKV begrüßt diese Maßnahmen. Auch befürwortet er die Ermöglichung von Fachkarrieren und mehr gesetzlichen Kompetenzzuspruch für Pflegekräfte. Zudem sieht man viel Potential in der Pflegeprävention, zum Beispiel im Ausbau von Früherkennungsprogrammen und Impfangeboten. Hier liege Österreich im europäischen Vergleich deutlich hinten, sagt Schweisser. Durch gezielte Investitionen in die Prävention könne das System entlastet und die Anzahl der Pflegefälle reduziert werden.  

Um Menschen zu motivieren, in die Pflege zu gehen, wäre es laut Schweisser wichtig, das Image der Pflegekräfte zu verbessern: „Mittlerweile ist der Beruf so vielfältig, so komplex geworden und so spannend – und weit weg von ich wasch ein bisschen und ich gebe Ihnen die Tablette.“

Schweisser beschreibt, wie erfüllend das Berufsfeld Krankenpflege ist und dass junge Leute dringend gebraucht werden: „Jeder junge Mensch, der heute in der Pflege zu studieren beginnt, wird ein Teil einer wahnsinntollen Entwicklung sein.“

List kann das bestätigen. Sie erzählt von einem Patienten, der regelmäßig zum Wechsel seines Bauchkatheters gekommen und mittlerweile verstorben ist. Seine Frau hat damals persönlich den Partezettel vorbeigebracht und sich für die liebevolle Betreuung bedankt. Zum Abschied hat sie List in den Arm genommen. Solche Momente der Dankbarkeit und der Rückhalt ihres Teams haben List die Stärke gegeben, nach einer von Belastungsstörung und Depression geprägten Auszeit den Weg zurück in die Pflege zu finden.

Christine Schweisser, Fachexpertin des ÖGKV, im Interview
(Fotos: Fernando Zhiminaicela, Anja Bauer)