Ob „YOLO“, „Lecker, lecker“ oder „was wird“ – Sätze aus dem Internet landen immer häufiger im Alltag. Doch die Mehrdeutigkeit der Memes birgt auch Gefahren.
Sprache ist geprägt von ständiger Veränderung. Während manche Wörter schleichend aus dem allgemeinen Sprachgebrauch verschwinden, tauchen andere plötzlich auf und werden schon am nächsten Tag tausendfach verwendet – als wären sie schon immer da gewesen. Gerade althergebrachte Sprichwörter sterben langsam aus. Phrasen wie „Da beißt die Maus keinen Faden ab“ versteht heutzutage kaum ein 20-Jähriger mehr.
Doch solche Redensarten verschwinden nicht ersatzlos – sie werden durch neue, modernere Varianten ersetzt. Junge Menschen sagen heute statt „Nach mir die Sintflut“ eher „YOLO“. Und statt „Abwarten und Tee trinken“ zitieren viele lieber den bekannten „Bares für Rares“-Ausschnitt, in dem eine Frau sagt: „Schauen wir mal, was wird“ – und ihr Mann gedankenverloren wiederholt: „… was wird.“

Das Rentnerehepaar Sabine und Klaus prägte mit seinem „Bares für Rares“-Auftritt unverhofft den deutschen Sprachgebrauch.
(c) tenor.com
Was ist ein Meme?
Viele dieser modernen Redewendungen haben ihren Ursprung in Memes. Ein Meme ist im Allgemeinen eine Idee, ein Symbol oder ein kulturelles Element, das sich über unterschiedliche Kommunikationsmittel wie Sprache, Gesten und Medien verbreitet. Memes transportieren Bedeutung, oft in verdichteter oder wiedererkennbarer Form, und verändern sich durch Nachahmung, Variation und Kontext.
Der Kommunikationswissenschaftler Bradley E. Wiggins, der zur Rolle von Memes im digitalen Zeitalter forscht, bezeichnet sie als „ein Genre der Kommunikation“. Damit unterstreicht er, dass Memes nicht auf ein bestimmtes Format oder Medium beschränkt sind – sondern sich vor allem durch ihre kommunikative Struktur auszeichnen.

Dr. Bradley E. Wiggins ist Kommunikationswissenschaftler an der Webster Vienna Private University. In seiner Forschung beschäftigt er sich hauptsächlich mit digitaler Kultur, insbesondere auch mit der Rolle von Memes.
Heute meint der Begriff meist Internet-Memes: Bilder, Videos oder Textbausteine, die sich viral verbreiten und humorvoll, ironisch oder pointiert gesellschaftliche Themen kommentieren. Manche dieser Inhalte – ursprünglich visuell oder audiovisuell – finden ihren Weg in die gesprochene Sprache und werden dort zu festen Ausdrucksformen. Wer beim Essen den Ausdruck „Lecker, lecker“ verwendet, der von einer Influencerin popularisiert und zum Meme gemacht wurde, bringt damit auf humorvolle Weise eine Botschaft, ein Gefühl und eine Haltung gleichzeitig auf den Punkt – und löst bei anderen einen Wiedererkennungseffekt aus, der ein Gefühl von gemeinsamer Referenz erzeugt.
Influencerin Julia Sauter und ihre Familie beenden jedes ihrer viralen Essensvideos mit demselben Satz – und wurden so selbst zum Meme.
(c) JesgirlJulia
Diese Art von Meme-Zitaten erfüllt zunehmend eine Funktion, die früher klassischen Redewendungen zukam: Sie strukturieren Kommunikation, vermitteln Bedeutungen – und zeigen, wer „dazugehört“. Meme-Sprache ist also nicht nur Ausdruck eines neuen Sprachgefühls, sondern auch ein soziales Werkzeug. Wie stark und auf welche Weise Memes Teil der Alltagssprache werden, hängt allerdings auch vom kulturellen Kontext ab. Während etwa im englischsprachigen Raum visuelle Formate dominieren, lebt die deutschsprachige Meme-Kultur stärker von sprachlichen, selbstironischen Anspielungen und Zitaten. In autoritär regierten Ländern werden Memes teils auch als subversives Werkzeug genutzt, um Kritik zu äußern, ohne sich direkt angreifbar zu machen.
Bedeutung entsteht im Kopf
Ein zentrales Merkmal von Memes ist ihre Offenheit. Sie funktionieren nicht wie klassische Aussagen, sondern setzen voraus, dass die Betrachtenden eine gedankliche Lücke selbst füllen. Bradley E. Wiggins beschreibt dieses Phänomen als essenziell für das Verständnis moderner Meme-Kommunikation.
Ein Bild allein – etwa ein bearbeitetes Foto von Donald Trump mit rot glühenden Augen – gibt keine eindeutige Lesart vor. Erst in der Kombination mit persönlichen Erfahrungen, politischen Einstellungen oder popkulturellem Vorwissen entfaltet es seine Wirkung. Für die einen steht es für Stärke und Dominanz, für andere wirkt es wie eine überzeichnete Karikatur oder Warnung.

Donald Trump mit Laseraugen – ein Beispiel für ein politisches Meme mit offener Bedeutungsstruktur.
(c) redbubble.com
Gerade diese Mehrdeutigkeit macht Memes laut Wiggins so wirkungsvoll – aber auch problematisch: In einer Medienwelt, in der sich Unterhaltung, Meinung und politische Kommunikation zunehmend vermischen, droht durch die Allgegenwart von Meme-Logik eine gewisse Unschärfe. „Wenn alles zum Meme wird“, warnt Wiggins, „wird es schwierig zu erkennen, was wirklich gemeint ist – und wem man noch glauben kann.“
Von Vincent Kern