Das Land gilt als idealer Rückzugsort für Insekten. Doch dort mangelt es oft an Blütenvielfalt. Im Kampf gegen das Bienensterben kommt daher ein ganz anderer Lebensraum zum Tragen: Die Stadt.
Von Vincent Leyerer
Rund 700 Wildbienenarten gibt es in Österreich, davon kommen 492 in Wien vor. Das geht aus einer Erhebung von Dr. Herbert Zettel, Entomologe am Naturhistorischen Museum Wien, hervor. Doch viele dieser Arten sind in ihrem Bestand gefährdet. Laut Einträgen in Roten Listen verschwinden sie europaweit leise – und mit ihnen ein wichtiger Teil des Ökosystems. Die Ursachen gehen oft Hand in Hand: intensive Landwirtschaft, Pestizide, Monokulturen. Zunehmend fehlt es an Blühvielfalt und Rückzugsräumen. Dennoch dominiert nach wie vor das Bild der glücklichen Bienen auf dem Land. Aber Städte bieten ungeahntes Potenzial.

Was Wildbienen brauchen – und was sie selten finden
Wildbienen unterscheiden sich in vielen Punkten von Honigbienen. Während Letztere als domestizierte Nutztiere gelten, leben Wildbienen größtenteils solitär und verfolgen „spezialisierte Lebensstrategien“. „Das bedeutet etwa, dass bestimmte Wildbienen nur Pollen von bestimmten Pflanzenarten oder -gruppen sammeln. Ihre Larven können sich ausschließlich von diesem Pollen ernähren und sich nur so entwickeln“, erklärt Wildbienenexpertin Sophie Kratschmer von der Universität für Bodenkultur in Wien. Andere würden bestimmte Strukturen für ihre Nester benötigen – etwa spezifische Bodenparameter, Totholz oder winzige Hohlräume in Mauern und alten Bäumen. „Etwa die Hälfte der Arten in Österreich nistet im Boden. Diese Arten brauchen offene, sonnige Bodenstellen, idealerweise mit südwestlicher Ausrichtung, in die sie gut graben können“, so Kratschmer.
Wenn Hilfe schadet – Der Boom der Honigbienen
Gleichzeitig boomt die urbane Imkerei. Christian Trattner, Leiter der Imkerschule Wien erklärt, dass in großen Städten die Zahl der Honigbienenvölker zunimmt. So verwandeln sich Hoteldächer, Parkanlagen, oder Betriebsgelände in Standorte für Bienenstöcke. „Immer mehr Menschen kommen zu uns und wollen das Imkern erlernen, ob als Hobby oder professionell“, so Trattner. Die Imkerei leistet einen wichtigen Beitrag zum Erhalt der Flora. Laut Trattner übernehmen Honigbienen und Wildbienen einen Großteil der Bestäubungsleistung.

Honigbienen gelten als besonders effizient im Sammeln großer Mengen an Pollen und Nektar, da sie Informationen über Futterquellen mit ihren Artgenossinnen teilen. In Städten nutzen sie dieselben Blühflächen wie Wildbienen – was auch zu Konkurrenz führen kann. Besonders für solitäre Wildbienenarten kann das problematisch werden, da sie niemanden haben, mit denen sie sich über gute Futterquellen austauschen könnten.
Weniger hilft mehr – Was tatsächlich wirkt
Die gute Nachricht: Wer Wildbienen helfen will, braucht keine aufwendigen Projekte. Im Gegenteil – oft sind es die einfachen Maßnahmen, die den Unterschied machen. Kratschmer nennt offene Bodenstellen, wild wachsende Wiesen, weniger Flächenversiegelung und selteneres Mähen als konkrete Möglichkeiten, die Lebensbedingungen vieler Wildbienenarten zu verbessern.

Der Leitfaden für Wildbienen der Stadt Wien sieht klare Ziele vor: So sollen gezielt vielfältige, naturnahe Lebensräume geschaffen werden – wie Blumenwiesen, Totholz und offene Bodenstellen. Um das Nahrungsangebot zu verbessern, fördert die Stadt heimische Blühpflanzen und pflegt öffentliche Grünflächen extensiv. Den Einsatz von Pestiziden und Unkrautbekämpfungsmitteln will die Stadt laut ihrem Wildbienen-Leitfaden reduzieren. Darüber hinaus informiert sie die Bevölkerung mittel Broschüren über Umweltbildung und will Bürgerinnen und Bürger motivieren, sich aktiv am Schutz der Wildbienen zu beteiligen.
Wildbienenschutz beginnt im Kleinen – auf dem Balkon, im Innenhof, am Straßenrand. Es braucht Wissen über die Bedürfnisse der Tiere und die Bereitschaft, bestehende Routinen zu hinterfragen. Die Stadt ist kein Ersatz für ein natürliches Habitat. Aber sie ist ein eigenständiger Lebensraum – und kann zur Wabe des urbanen Artenschutzes werden.