Wenn eine Droge als Kulturgut gilt

Die österreichische Gesellschaft ist in hohem Maße geprägt von einer tief verwurzelten Alkoholkultur, dabei ist Alkohol eine Droge mit konkreten Gesundheitsrisiken.

Von Florian Fegerl

„Wollts ka Bier heast, wos isn des?“ – Das war nicht die anmaßende Frage des Barkeepers um Mitternacht, sondern die Reaktion des ehemaligen Wiener Bürgermeisters Michael Häupl (SPÖ) darauf, dass zwei junge Männer bei einem Würstelstand gerne einen Almdudler zu ihrer Käsekrainer hätten. Diese Szene zeigt deutlich, wie sehr Alkoholkonsum in Österreich gesellschaftlich verankert ist.

Wer „heute mal nichts trinkt“, muss sich oft rechtfertigen. Dabei handelt es sich laut dem Autor Daniel Wagner bei Alkohol um eine der gefährlichsten Drogen. Jährlich sterben ein Vielfaches mehr Menschen in Österreich an Folgen des Alkoholkonsums als an anderen illegalen Substanzen. In der Gesellschaft ist das offenbar noch nicht ganz angekommen.

Vom Genuss zur Krankheit

Alkohol genießt vor allem in Österreich einen sehr hohen Stellenwert. Daniel Wagner, selbst ehemals suchtkrank, führt das auf Anfrage darauf zurück, dass der Konsum über Generationen hinweg eher bagatellisiert als kritisch hinterfragt wurde. Anfang Februar 2025 veröffentlichte er sein Buch Trocken, in dem er seine persönliche Suchtgeschichte erzählt. Sein Fazit im Interview: „Es wurde mehr in die Richtung aufgeklärt, dass man versucht, sich alles irgendwie schönzureden. Ewig lang haben zwei, drei Gläser Wein als gesund gegolten und das ist einfach nicht zutreffend.“

Laut dem Epidemiologiebericht Sucht 2024 und dem Bericht zur Drogensituation 2024 konsumiert jede siebte Person in Österreich Alkohol in einem gesundheitsgefährdeten Ausmaß – Männer fast doppelt so häufig als Frauen. Obwohl ein langfristiger Rückgang des Alkoholkonsums sichtbar ist, gehört Österreich im internationalen Vergleich weiter zu den Hochkonsumländern.

Autor Daniel Wagner | © Esther Varga

Wie für viele andere wurde Alkohol auch für den Autor zur Medizin, um der Realität zu entfliehen.

Wagners Zeit in Therapie zeigt eindrücklich, wie tief das Problem sozial verankert ist – und das in allen gesellschaftlichen Gruppen: „Ich war in diversen Suchtkliniken und was ich da gesehen habe, war ein kompletter Querschnitt der Gesellschaft. Ich saß am Tisch mit Lehrerinnen, einem Arzt, vielleicht einmal mit einem Obdachlosen, und jedes Alter war vertreten.“

Zwischen Werbung, Verfügbarkeit und Hilfe

Alkohol ist trotz der zahlreichen gesundheitlichen Folgen wie Leberschäden, psychische Erkrankungen, Nervenschäden oder Gedächtnisproblemen allgegenwärtig: Man findet weiterhin kleine Schnapsflaschen an der Supermarktkasse direkt neben den Süßigkeiten im Blickfeld von Kindern. Er wird auf Plakaten oder im Fernsehen Alkohol beworben und ein großes Bier kostet genauso viel wie ein Soda Zitrone.

Was also tun, um den Alkoholkonsum gesellschaftlich zu hinterfragen und einen bewussteren Umgang zu fördern? Ein Blick nach Schweden zeigt mögliche Wege auf: einerseits ist dort Alkohol sehr hoch besteuert – ein großes Bier kann bis zu zehn Euro kosten. Andererseits werden alkoholische Getränke neben Restaurants und Bars nur in eigens ausgewiesenen Geschäften verkauft.

Und wie kann man bereits erkrankten Menschen am besten helfen? Laut Wagner braucht es mehr niederschwellige Angebote, die die Menschen zur Beratung besuchen können: „Du musst ein Krankenhaus aufsuchen, um dir helfen zu lassen und das ist für suchtkranke Personen schwierig, weil man sich oft gar nicht eingestehen kann, dass man ein Problem hat.“

Systembolaget: Staatliches Unternehmen mit Monopol auf den Einzelhandel von Getränken mit Alkoholgehalt
© Dmitry G, Public domain, via Wikimedia Commons

„Man läuft nicht mit diesem Schild herum: „Ich habe ein Alkoholproblem.“

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat Alkoholsucht seit 1952 als eine Krankheit definiert. Alkohol ist eine legale Droge – das macht sie aber noch lange nicht ungefährlich. ExpertInnen sind sich einig: Es braucht verstärkte Aufklärung, gesellschaftliche Sensibilisierung und konkrete Maßnahmen, um den problematischen Alkoholkonsum einzudämmen. Nur so könne eine Kultur entstehen, in der „heute mal nichts trinken“ genauso akzeptiert ist wie das Bier zur Käsekrainer.

Und tatsächlich gibt es erste Anzeichen eines Wandels: Immer mehr junge Menschen trinken seltener oder verzichten bewusst auf Alkohol – zumindest zeitweise. Bewegungen wie der „Dry January“, bei dem im Jänner gezielt auf Alkohol verzichtet wird, erfreuen sich auch in Österreich wachsender Beliebtheit. Studien zeigen, dass der Alkoholkonsum unter Jugendlichen und jungen Erwachsenen in den letzten Jahren deutlich zurückgegangen ist. Eine Entwicklung, die Hoffnung macht.

Dass ausgerechnet Altbürgermeister und Spritzwein-Fan Michael Häupl vom „Dry January“ begeistert wäre, darf bezweifelt werden.

Wenn Sie bemerken, dass Ihr Alkoholkonsum zur Belastung wird oder Sie die Kontrolle verlieren, vertrauen Sie sich jemandem an. Wenn Sie vermuten, dass eine Person aus Ihrem Umfeld Probleme mit Alkohol hat, schauen Sie nicht weg und bieten Sie Hilfe an. Es gibt eine Vielzahl an Hilfsangeboten:

Rat auf Draht (147): Kostenlose und anonyme 24-Stunden-Beratung für Kinder und Jugendliche
Telefonseelsorge (142): Rund um die Uhr erreichbar und vertraulich
Österreichische Dialogwoche Alkohol: https://www.dialogwoche-alkohol.at/handeln/beratungsstellen-2/
Regionales Kompetenzzentrum Suchhilfe Wien: https://www.suchthilfe.wien/2/rkomz-2/
Blaues Kreuz Alkoholhilfe (0699 14651902): https://alkoholhilfe.at/