Frauen radikalisieren sich oft leise und unbemerkt. Während männliche Täter die Schlagzeilen dominieren, bleiben ihre weiblichen Pendants meist im Schatten. Wieso das so ist und was Frauen in den Extremismus treibt.

Weibliche Radikalisierung ist medial weniger präsent als männliche. (Foto: © André Eusébio, Unsplash)
Die Salzburgerin Maria G. ist eine der wenigen Frauen, deren Rückkehr aus dem sogenannten IS-Gebiet öffentlich bekannt wurde. Sie reiste als Jugendliche nach Syrien, um sich dem IS anzuschließen, und kehrte Jahre später nach Österreich zurück. Fälle wie ihrer sind selten und ziehen Aufmerksamkeit auf sich, gerade weil radikalisierte Frauen meist im Verborgenen agieren. Nur in Extremfällen wie jenem von Maria G. wird sichtbar, dass auch Frauen eine aktive Rolle in extremistischen Szenen einnehmen können.
Radikalisierungsfälle in Zahlen zu fassen, fällt Verena Fabris, Leiterin der Beratungsstelle für Extremismus, schwer. Viele Fälle würden sich im Endeffekt gar nicht als Radikalisierung bewahrheiten. Im beispielsweise rechtsextremistischen Spektrum seien es fast bis zu 80 Prozent Männer, im islamistischen Spektrum gebe es aber eine klare Ausgewogenheit zwischen Klienten und Klientinnen.
„Konservatismus ist anschlussfähiger als Feminismus“
Während für Männer Gruppen, die starke Männlichkeitsbilder erschaffen, attraktiv wirken, ist dieses Modell für Frauen weniger anschlussfähig: „Es gibt nicht so viele Heldinnen-Geschichten, es gibt mehr Helden-Geschichten.“, sagt Fabris. Stattdessen schlüpfen Frauen eher in konservativ geprägte Rollen, die ihnen in extremistischen Gruppen auch geboten werden.
Die vielen Identitätsentwürfe in Europa würden es jungen Frauen erschweren, ihren eigenen Weg zu finden, erklärt Fabris. Konservative Rollen würden hingegen Orientierung und Halt bieten: „Feminismus ist für manche Frauen nicht anschlussfähig. Sie erfahren Feminismus weniger als Solidarität unter Frauen, sondern als Druck, stark und erfolgreich sein zu müssen.“, so Fabris. Hierbei habe die „Trad Wives“-Bewegung, in der Frauen auf Social Media alte Rollenbilder glorifizieren, einen großen Einfluss auf heranwachsende Frauen, sagt die Extremismusexpertin.

Hanna Neeleman, ein Beispiel für eine bekannte TradWife-Influencerin
(Foto: © Corey Arnold, The Sunday Times Magazine)
Gewalterfahrungen & (Liebes-) Beziehungen als Wegbereiter
Neben der Sehnsucht nach einem festgelegten Frauenbild spielen auch Gewalterfahrungen und Diskriminierung für Frauen eine Rolle. Laut Fabris häufen sich die Klientinnen, die beispielsweise im Elternhaus Gewalt erfahren haben und durch den Beitritt an einer extremistischen Gruppe einen Ausweg für sich suchten. Hierbei bestehe eine große Hoffnung auf Schutz durch die Gruppe und ein Gefühl, „auserwählt“ zu sein.
Emina Saric, Expertin für Integration und Geschlechterpädagogik, sieht auch Liebesbeziehungen und Freundschaften bei Frauen als einen bedeutenden Faktor bei der Radikalisierung. Sie betreute in der Vergangenheit zwei bosnische Rückkehrerinnen in einer Frauenberatungssstelle, die sich aufgrund ihres Partners einer extremistischen Gruppe angeschlossen haben. Diese Frauen seien angewiesen gewesen auf Loyalität und Sicherheit, die ihnen ein radikalisierter Mann und seine Gruppierung versprachen.
Welche Aufgaben Frauen in extremistischen Gruppen zukommen
Die Aufgaben, die Frauen in extremistischen Gruppierungen einnehmen, seien ähnlich zu jenen, die ihnen gesamtgesellschaftlich zugeschrieben würde, sagt Fabris: Sie organisieren viel, rekrutieren andere Frauen und machen ideologische Arbeit im Hintergrund. „Frauen wird eben auch unterstellt, friedfertiger zu sein. Das heißt, sie sind oft auch unauffälliger und werden deshalb gerade bei Gewaltverbrechen gezielt eingesetzt.“, so die Leiterin der Beratungsstelle.
Das sei der Grund, warum radikalisierte Männer medial mehr Aufmerksamkeit auf sich ziehen: Der reine Gewaltakt sei nämlich für die Männer vorbestimmt – was viel mit Sozialisierung zu tun habe. „Buben werden eher dazu ermuntert, wild zu sein und zu raufen. Vielleicht ist daher die Schwelle zur Gewaltbereitschaft niedriger als bei Mädchen. Ihnen bringt man bei, zu lächeln und lieb zu sein.“
Bildung als das Nonplusultra in Sachen Prävention
Am wenigsten von Radikalisierung betroffen seien Frauen mit hohem Bildungsniveau, sagt die Integrationsexpertin Saric. Haben Frauen einen Zugang zu Bildung, sei davon auszugehen, dass sie sich darüber bewusst sind, wie man sich in der Gesellschaft positioniert. Sie vergleicht: „Bei den Taliban haben Frauen gar keinen Zugang zu Bildung oder zu irgendwelchen Informationen. Wenn man ihnen das verbietet oder einschränkt, dann kann man mit Frauen machen, was man will. Sie werden degradiert, abgewertet und wissen nicht mehr, was die Wahrheit ist.“
Auch Integration kann Radikalisierung vorbeugen. Frauen mit Migrationshintergrund, die in Österreich erfolgreich integriert sind, seien besser davor geschützt, extremistischen Gruppierungen beizutreten, sagt Saric. Sie betont aber auch: „Niemand ist dagegen gefeit. Egal, ob mit oder ohne Migrationshintergrund – Radikalisierung kann uns alle betreffen.“