Geteilte Kleider, geteilte Gesellschaft

Was der Second-Hand-Trend für einkommensschwache Menschen bedeutet

Von Magdalena Bauer

Zwischen einer 70 Euro Cavalli Bluse und einem Paar Kinderschuhen um 2,50 Euro liegen Welten. Second-Hand-Läden sind Orte, an denen sich diese Welten kurz berühren. Was einst als Unterstützung für Menschen mit geringem Einkommen diente, hat sich in den letzten Jahren zum Lifestyle entwickelt. Second-Hand-Läden sind heute nicht nur Orte sozialer Hilfe, sondern Anlaufstellen für ein junges, stilbewusstes Publikum. Laut der Studie „New Generation Circular Fashion Survey“ tragen vor allem Millennials und die Generation Z zur Beliebtheit von Second-Hand-Mode bei. Gleichzeitig bleibt das Einkaufen dort für viele eine wirtschaftliche Notwendigkeit – eine soziale Realität, die hinter dem aktuellen Trend in den Hintergrund tritt. Second-Hand boomt, aber: Wer ist für diesen Trend verantwortlich, und wer profitiert davon

Vom Stigma zum Statement

Anfang der 2000er war getragene Kleidung vor allem eins: Ein Zeichen finanzieller Not. Andrea Ettenhuber, Mutter zweier Kinder, erzählt: „Ich habe oft Jacken und Schuhe im Second-Hand Laden gekauft. Alles andere wäre zu teuer gewesen.“ Gerne sei dort niemand hingegangen, so die 52-jährige Angestellte im Bürgeramt. Der Einkauf dort sei oft mit Scham verbunden gewesen. 

Heute hingegen ist Vintage Mode getragen von InfluencerInnen, gefeiert von Modehäusern und moralisch aufgeladen durch den Nachhaltigkeitsdiskurs. Gebrauchte Kleidung gilt als moralisch und stilvoll. 

Zalando bewirbt auf seiner Startseite aktiv die „Pre-owned“-Kollektion / Screenshot

Wenn der Trend zur Hürde wird

Doch je moderner Second-Hand wird, desto mehr verschieben sich die Machtverhältnisse: Die Nachfrage treibt die Preise in die Höhe. Die günstige Alternative wird für einige unerschwinglich.  

In Wien beziehen rund 140.000 Menschen Mindestsicherung, davon sind zehn Prozent unter 24 Jahre alt. Im Vergleich zu Zahlen aus den Vorjahren, steigen diese fast monatlich. Finanzielle Unterstützung für Kleidung gibt es dabei nur innerhalb der „Zuschüsse für besondere Lebenslagen“ und unter Nachweis, dass der Kleidungsbedarf nicht mit der Mindestsicherung gedeckt werden kann. Deshalb sind viele Menschen auf andere Anlaufstellen, wie Caritasläden (Carla) und Sozialmärkte angewiesen. Doch auch dort ist der Trend angekommen. 

Caritas Wien

Die Carla’s verfolgen ursprünglich einen gemeinnützigen Zweck. Menschen mit geringerem Einkommen haben die Möglichkeit, gebrauchte Kleidung oder Möbel für kleines Geld zu kaufen. Zudem werden Menschen unterstützt, wieder in den Jobmarkt einzusteigen, sagt Paula Penner, Filialleiterin des neusten Carla’s am Wiener Stephansplatz. Sie erzählt: „Ehrlicherweise, kommen zu uns kaum einkommensschwache Menschen, im Gegenteil“. Der Standort sei prädestiniert dafür, so Penner, Mode und Gegenstände in den Vordergrund zu stellen.  

Die neuste Carla-Filia am Stephansplatz / Magdalena Bauer

Menschen die nicht auf der Suche nach Vintage-Schätzen sind, besuchen eher einen der drei weiteren Carlas in Wien. Für bedürftige Personen gibt es dort das Konzept der „Carla Card Plus (CCP)“. Durch Vorlegung von Einkommensnachweis und Passdokument, kann man sich im Carla Mittersteig registrieren lassen und bekommt in allen Filialen Nachlässe. Pro Person sind es 85 Euro alle sechs Monate, die man dort frei zur Verfügung hat. Auf Textilien und Schuhe gibt es immer 70 Prozent Rabatt.  

Nicht für den Trend, sondern aus Bedarf

Aktuell nutzen mehr als 2000 Menschen das Angebot der CCP, darunter Helena Reuther*. Sie ist 42 Jahre alt und seit über fünf Jahren alleinerziehende Mutter dreier Kinder. In einer kurzen E-Mail schildert Sie Ihre Erfahrungen in den Carla’s: „Ich bin sehr dankbar für die Unterstützung. Wenn ich zu Carla gehe, meistens in Floridsdorf, denn da ist nicht so viel los. Deswegen gibt’s da mehr Sachen, bessere Jacken oder Geschirr. Ich schäme mich nicht, da einzukaufen und von der Plus Card weiß ja niemand was. Aber stolz bin ich auch nicht.“ Auf die Nachfrage, ob sie den Trend wahrnimmt, antwortet sie: „Man merkt schon, dass hier viele Leute einkaufen, die anders einkaufen als ich. Mehr aus Spaß.“ 

Ein schwieriges Gleichgewicht

Die Gen Z hat Spaß an Second-Hand. „Ich habe viele Freunde, die nur gebraucht einkaufen“, erzählt Studentin Katharina D. „Man geht auf Flohmärkte, zu Humana, zu Carla – stöbert durch. Das macht schon Spaß.“ Den Gedanken, einer bedürftigen Person den Zugang zu bezahlbarer Kleidung zu erschweren, hatte sie dabei noch nicht.  

TikTokerin „styledbytiggy“ zeigt, wie sich Trend-Outfits ausschließlich mit Second-Hand-Kleidung nachstellen lassen – und erreicht damit tausende FollowerInnen.

Die Entwicklung wirft Fragen auf: Wem gehört Second-Hand? Lässt sich modischer Konsum mit sozialer Verantwortung vereinbaren? Eine einfache Antwort gibt es nicht. Trends kommen und gehen. Die Bedürftigkeit bleibt.  

*Helena Reuther möchte unbekannt bleiben und hat daher einen anderen Namen erhalten.