Vom Lehmbatzen zur Insta Story

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Töpfern erlebt ein Comeback durch Social Media. Zwischen Achtsamkeit und Ästhetik suchen vor allem junge Menschen einen kreativen Ausgleich zum digitalen Alltag.

Ein großer Tisch, auf beiden Seiten stehen mehrere Stühle. Auf dem Tisch stehen mehrere Drehscheiben, auf denen ein lehmiger Klumpen liegt. In der Luft liegt ein feuchter, erdiger Geruch. Mehrere Menschen sitzen hier, töpfern und bemalen Tassen, Schüsseln oder Teller und trinken dazu Prosecco. Im Hintergrund läuft Pink + White“ von Frank Ocean. Die Szene stammt aus einem der unzähligen Töpfer-TikToks, die auf der ForYouPage ausgespielt werden. Das Töpfern und Keramikbemalen ist voll im Trend: Endlich wieder etwas mit den eigenen Händen schaffen. Menschen setzen sich gerne für ein paar Stunden in Töpfersalons und gekrönt wird das Kunstwerk mit einer ästhetischen Insta-Story oder einem TikTok. Warum gehen plötzlich so viele Leute ins Töpferstudio?


Gerade junge Menschen verbringen ihre Freizeit gerne mit kreativen Aktivitäten, zeigt die WienXtra-Studie der Stadt Wien. Drei Viertel der 500 befragten Jugendlichen gaben an, einem kreativen Hobby nachzugehen, rund ein Viertel davon üben dieses „oft“ aus. Die Bodenständigkeit des Tons scheint ein willkommener Kontrast zur zunehmenden Digitalisierung zu sein.

Farben auf Ton: Neben dem Töpfern begeistern sich viele für das Keramik bemalen
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Volle Kurse, volle Drehscheiben

Laut Gewerberegister der Wirtschaftskammer Österreich gibt es in Wien aktuell zwischen 20 und 30 angemeldete Keramikunternehmen, die entweder Töpferkurse, Keramik bemalen oder beides anbieten. Gerade in den letzten fünf bis zehn Jahren sind mehrere dazugekommen. Magnus Moser, Inhaber der Potteria Töpferlounge, nimmt diesen Hype mit Wohlwollen wahr. Gerade in der Zeit nach den Lockdowns im Zuge der Corona-Pandemie, merkt er eine angestiegene Nachfrage. Als er vor 15 Jahren seinen Töpfersalon öffnet, ist das Töpfern noch „OmaThema“, wie er selbst sagt. Mittlerweile sind es überwiegend 18- bis 30-Jährige, die seine Kurse besuchen oder zum Keramikbemalen kommen. Es sind jedoch nicht nur junge Leute, die in ihrer Freizeit gerne töpfern.

„Wir sind Projektionsfläche für viele frustrierte Menschen.

Marianne Seiz


Sie ist selbst gelernte Meisterkeramikerin und betreibt ihren eigenen Keramikbetrieb Seiz Keramik. Viele ihrer Kunden sind gestresste Geschäftsleute, die einen Ausgleich zu ihrem Bürojob suchen. Das Töpfern ist für sie eine Art Antidepressivum, meint Seiz. Magnus Moser sieht dies etwas anders. Für ihn sind es vielmehr neugierige und kreative Leute, die einem Hobby nachgehen wollen.

Nicht mehr als ein Hobby

Auf TikTok schimmern Oberkörper im Sonnenschein, die Drehscheibe dreht sich langsam, Ton rinnt sinnlich durch Hände – Videos wie diese erzielen Millionen Klicks. Hashtags wie #claytok oder #potteryboy romantisieren das Töpfern nicht nur, sie sexualisieren es zunehmend. Der reale Werkstattalltag hingegen bleibt oft unsichtbar.  

Seiz Keramik ist momentan der einzige Meisterbetrieb in Wien, der Lehrlinge ausbildet. Bereits seit drei Jahren sind sie auf der Suche nach einem neuen Lehrling. Fehlende Bewerbungen seien aber nicht das Problem. Spätestens beim Probearbeiten wird jedoch klar: Zum Beruf will es keiner machen. Die auf Social Media verbreitete Ästhetik erschafft ein Idealbild von Keramikarbeit: entschleunigt, stilvoll, weichgezeichnet. Was in den Clips meist fehlt: der ständige Staub, die körperliche Belastung, die monatelange Übung, das Scheitern. „Sie sagen, sie sind kreativ und perfektionistisch. Aber wenn es dann ans Wiederholen, Wiederholen, Wiederholen geht, steigen sie aus“, so Seiz.

„Perfektionismus ohne Ehrgeiz bringt im Handwerk nichts.“

Marianne Seiz
Trotz voller Kurse: Der Sprung vom Hobby zur Ausbildung bleibt für viele ein ungebrannter Wunsch.
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Was vom Trend bleibt

Was also bleibt vom Hype rund ums Töpfern und Keramikbemalen? Auch wenn die meisten nur für ein paar Stunden in die Welt aus Ton und Glasur eintauchen, hinterlässt das kreative Arbeiten mit den Händen Spuren. „Wir sind zwei Stunden fokussiert und das ist in der heutigen Zeit schon mal gar nicht so schlecht“, sagt Magnus Moser. Vielleicht ist genau das der eigentliche Wert dieses Trends – ein kurzer Moment echter Aufmerksamkeit.