ChatGPT und Co. stellen den heimischen Schulalltag vielerorts auf den Kopf. Welche Probleme es gibt, was die Zukunft bereithalten könnte.

„Habe ich in ChatGPT eingegeben und fertig!“ Marcel lacht schelmisch, als er von der Erledigung seiner letzten Deutsch-Hausaufgabe erzählt.
Statt die fällige Bildgeschichte aus eigener Kraft zu schreiben, hat sie der Elfjährige kurzerhand von der KI-App auf seinem Smartphone erledigen lassen. Während der jährlichen „Go Student“-Umfrage zufolge 75 Prozent der österreichischen Schüler:innen KI für Hausaufgaben verwenden, scheinen viele Lehrpersonen hinterherzuhinken.
Drohen Österreichs Schulwesen dystopische Zustände?
„Hausaufgaben sind mittlerweile sinnlos“
Harald Ertl ist Lehrer an einem steirischen Oberstufengymnasium. In über 25 Jahren als „Professor“ der Mathematik, Physik und Informatik hat er in Sachen Digitalisierung viel erlebt – der Aufschwung von KI stellt seine Kolleg:innen und ihn vor völlig neue Herausforderungen.
„Klassische Hausübungen sind mittlerweile sinnlos. Viele Lehrer:innen geben keine Hausaufgaben mehr, weil sich die Kinder die Texte vollständig schreiben lassen.“ Weit mehr als die Hälfte seiner Schüler:innen verwende ChatGPT. Die drastischen Auswirkungen auf den Schulalltag bekommt der 51-Jährige Tag für Tag vor Augen geführt. „Die KI ist unaufhaltsam. Daran gibt es keine Zweifel.“
Während IT-Liebhaber Ertl dem Einsatz von KI auch Positives abgewinnen kann, würden vor allem ältere Kolleg:innen häufig Ablehnung und Verdruss an den Tag legen. „Es gibt Lehrer:innen, die Angst vor allem haben, was Strom benötigt. Ein Großteil nimmt die KI als Bedrohung wahr. Da gibt es auf jeden Fall eine gewisse Abwehrhaltung.“

„KI-Revolution“ – Ausmaß vielen „noch gar nicht bewusst“
Wenn es nach dem renommierten Bildungswissenschaftler Univ.-Prof. Dr. Michael Schratz geht, zeichnet Ertl ein Sinnbild für den Status quo an Österreichs Schulen. Für den Leadership- und Lernexperten steht außer Frage, dass KI in Zukunft nicht nur fester Bestandteil des Bildungssystems, sondern der Gesellschaft wird. Dem Ausmaß der „KI-Revolution“ seien sich viele „noch gar nicht bewusst“.
„KI ist kein Tool, sondern eine völlig neue gesellschaftliche Entwicklung. Sie ist eine grundlegende Veränderung an der Struktur des Lehrens und Lernens“, fährt Schratz fort.
Was machen die Lehrer:innen der Zukunft?
Klassische Unterrichtsräume würden bald der Vergangenheit angehören. Stattdessen spiele sich der Schulalltag der Zukunft in sogenannten „Maker Spaces“ ab. „Dort setzt man sich mit der Welt auseinander, nicht nur mit Wissen aus Schulbüchern“, erklärt der 73-jährige Steirer.
Für Lehrpersonen werde sich nicht nur der Arbeitsort, sondern das gesamte Berufsbild verändern. „Weg vom Wissensvermittler, hin zur pädagogischen Aufgabe und der Auseinandersetzung mit Wissen“, laute die Devise der Zukunft.
„Da sind große Ängste vorhanden“
Dass die KI insbesondere bei dienstälteren Lehrpersonen Unsicherheiten und Ängste offenlegt, wundert den 73-Jährigen nicht. „Es ist unglaublich schwierig für eine Generation, die selbst nicht mit Digitalisierungshintergrund aufgewachsen ist. Da sind große Ängste vorhanden.“
Wenngleich KI laut Schratz tatsächlich „Gefahren“ mit sich bringe – den vorherrschenden Pessimismus in der Debatte sieht er kritisch. ChatGPT und andere Programme könnten Lehrern beispielsweise dabei helfen, zeitsparender zu arbeiten und mehr Fokus auf den pädagogischen Aspekt ihrer Arbeit zu legen.
„Ich war selbst Englischlehrer. Ich kann jetzt eingeben: ‚Erstelle mir ein Arbeitsblatt zum Thema Verben und drucke mir das aus.‘ Das spart Zeit und schafft ganz neue Möglichkeiten.“
Volle Kraft voraus für Österreichs „Schultanker“?
Das österreichische Bildungsministerium hegt auf seiner Homepage hinsichtlich KI große Pläne – Schüler:innen müssten „nicht nur verstehen, wie KI funktioniert, sondern auch lernen, sie kritisch und verantwortungsvoll zu nutzen.“
Die Schule nehme „eine Schlüsselrolle ein, junge Menschen auf ein selbstbestimmtes Leben in einer von KI geprägten Welt vorzubereiten“.
Um besagte Vorhaben in die Tat umzusetzen, brauche es vor allem vonseiten der Schulleiter:innen und Lehrpersonen Engagement. Mit der Einführung des Schulfachs Digitale Grundbildung habe der „große Tanker“ Schule laut Schratz zumindest vorerst den richtigen Kurs eingeschlagen. Rundum gewappnet sei man damit aber noch lange nicht.
Felix Müller