Mit solchen Versprechen wirbt aktuell der „Morning-Shed“-Trend auf Social Media. Was zunächst wie ein harmloses Selfcare-Ritual aussieht, wirft bei Expert*innen jedoch Fragen zu unrealistischen Schönheitsidealen und Optimierungsdruck auf.
Cremes, Serum, Tape über dem Mund – auf Instagram und Tiktok teilen Influencer*innen unter dem Hashtag „Morning Shed“ ihre aufwendigen Abendroutinen. Das Ziel: morgens makellos und erholt aussehen.
Der Begriff „shed“ kommt aus dem Englischen und bedeutet so viel wie abwerfen. Das machen Influencer*innen morgens mit ihren Kosmetikartikeln. Abends werden zahlreiche Pflegeprodukte aufgelegt, die am Morgen wieder abgenommen werden. Damit soll ein makelloses Aussehen nach dem Aufwachen erreicht werden.

Gepflegt gestresst
„Die Erwartung, morgens perfekt aufzuwachen ist unrealistisch“sagt Katja Schulze, klinische Psychologin. Regelmäßige vorhersehbare Abendroutinen könnten zwar zu einer guten Schlafhygiene beitragen, wie beispielsweise feste Schlafenszeiten. Der Druck, durch kosmetische Produkte das Aussehen zu optimieren, bewirke jedoch oft das Gegenteil. „Wer ohnehin mit Ängsten um das eigene Aussehen kämpft, was viele junge Menschen betrifft, wird durch den Vergleich mit perfekt inszenierten Videos kaum entspannter schlafen können“, so die Expertin.
Alte Ideale in neuem Glanz
Dass viele Jugendliche mit ihrem Aussehen hadern, belegt auch eine Studie von Safer Internet. Laut der Befragung würden rund die Hälfte der teilnehmenden Jugendlichen in Österreich zwischen 11 und 17 Jahren etwas an ihrem Aussehen ändern wollen, bei den befragten Mädchen sogar etwa 60 Prozent.
Die Soziologin Prof. Dorit Geva sieht darin die Folge gesellschaftlicher Schönheitsnormen, die vor allem an Frauen und Mädchen unrealistische Erwartungen richten. „Patriarchale Systeme schreiben Frauen ein unverhältnismäßig großes Gewicht auf ihr Aussehen zu und belohnen Jugendlichkeit, in unserer Zeit auch Schlankheit und eine kontrollierte Art von „natürlicher“ Schönheit“, erläutert Geva. Das Ergebnis: ein System, in dem der Wert von Frauen an ihrer Fähigkeit gemessen wird, ihr Äußeres zu managen und zu präsentieren- oft nach widersprüchlichen, erschöpfenden und letztendlich unerreichbaren Maßstäben.
Obwohl Trends wie der „Morning Shed“ sich mit Begriffen wie „Selfcare“ oder „Wellness“ vermarkten, seien sie laut Geva tief verbunden mit einem Ideal vom Weiblichkeit, das vor allem darauf ausgerichtet ist, ständig gut auszusehen- nicht darauf, sich selbst etwas Gutes zu tun.

Die Soziologin warnt: „Die Grenze zwischen Selbstausdruck und äußerem Druck ist verschwommen – insbesondere, wenn Schönheit als Ermächtigung vermarktet wird.“ Wahren Selbstausdruck erkenne man daran, dass er sich frei und kreativ anfühle, und nicht an Zustimmung gebunden sei. Eine zentrale Frage, die sich jede*r stellen kann, sei daher:“Für wen tue ich das?“
Auch die Psychologin Katja Schulze betont: Es ist entscheidend, die Motivation hinter der Routine zu hinterfragen. „Es geht nicht primär darum, was man tut, sondern warum man es tut und wie starr die Regel ist“, erklärt die Expertin. Wer Rituale nutzt, um sich etwas zu gönnen, könne davon profitieren. Wer sie allerdings als Pflicht und Mittel empfindet, um vermeintliche Makel zu beseitigen, setze sich langfristig psychischer Belastung aus.