Ob tolle Stimmung oder Ausschreitungen, Fußballfans generieren beides und polarisieren. Zwei Fan-Experten sprechen über das Phänomen „Fußballfan“ und all seine Facetten.

„Für Fußballfans ist die Tribüne ein Ort, an dem sie Gemeinschaft, Freundschaft, Solidarität und Zuverlässigkeit erfahren. Es ist ein Ort, wo man so sein kann wie man will und man wird auch so akzeptiert wie man ist, Hauptsache man unterstützt den richtigen Verein“, sagt der Fußballszenenexperte Michael Gabriel über das Phänomen „Fußballfan“. Der gebürtige Klagenfurter ist Leiter der Koordinationsstelle Fanprojekte bei der Deutschen Sportjugend in Frankfurt, die sich für die Sozialisierung von jungen Fußballfans einsetzt.
Fußball-Fankultur wird in zwei verschiedenen Arten wahrgenommen. Zum einen wird sie für ihre Emotionalität und ihr soziales Verständnis geschätzt, zum anderen wirkt sie in Form von Ausschreitungen und diskriminierenden Aktionen abschreckend auf Menschen. Dies bestätigt nicht nur Michael Gabriel, sondern auch der jetzige Funktionär und langjährige Fan des SK Rapid, Stefan Singer.
„Die Freundschaft und Kameradschaft unter den Fans, das sind die Dinge, die nicht punktuell Euphorie auslösen, aber sehr viel wert sind“, erzählt Singer, von seinen schönsten Erlebnissen als Teil einer Fangemeinde. Doch was überwiegt nun – das Geschätzte oder das Abschreckende?

Zwischen Kontrolle und Konfrontation – Polizei im Spannungsfeld der Fankultur
Am 9. März dieses Jahres gerieten Anhänger*innen vom mitgliederstärksten Fußballklub Österreichs, SK Rapid Wien, bei einem Auswärtsspiel in Hartberg in einen Machtkampf mit der Exekutive. Bei einer eskalierten Personenkontrolle wurden Kloschüsseln, Sesseln und Türen in eine Menge von Polizist*innen geworfen. Auch für Singer Szenarien, die er in dieser Form strikt ablehnt. Fehler passieren seiner Meinung nach allerdings nicht nur bei den Fans, sondern auch bei der Polizei.
Michael Gabriel, der zwischen 1992 und 2014 ebenfalls Fanbetreuer bei Fußballgroßereignissen war, kennt die Problematik der Rivalität zwischen Fans und Polizei nur zu gut. „Die Polizei muss bei ihren Einsätzen verhältnismäßig vorgehen. Aus meiner Sicht sind gute Einsätze vor allem dann möglich, wenn die Polizei gut informiert ist und viel kommuniziert. Fans würden eher mal eigenes Fehlverhalten zugestehen, wenn sie das aufseiten der Polizei auch wahrnehmen würden.“
Letztendlich müsse allerdings jeder Fan eingestehen, dass die Polizei das Gesetz vertritt und auch Fußball-Fans von Richtlinien nicht ausgeschlossen seien, ergänzt Gabriel. Stefan Singer stimmt dem zu und findet eine Erklärung für das oftmals „harte“ Vorgehen der Exekutive: „Polizist*innen wollen sich auch zurecht nicht vorführen lassen. Wenn sie beschimpft werden, mit Gegenständen beworfen werden oder ihren Anweisungen nicht Folge geleistet wird, dann wollen sie umso mehr zeigen, dass sie im Stadion das Sagen haben. Das wirkt dann aber leider oft nicht deeskalierend.“
Positives überwiegt, aber kaum in der Öffentlichkeit
Am Ende des Tages sind es allerdings nicht die Eskalationen und gesetzeswidrigen Aktionen, die das Verhalten von Fußballfans dominieren, sondern viel mehr die generierte „gute Stimmung“, von der nur gesprochen wird, wenn es im Stadion (grob formuliert) laut ist, wie beide Fan-Experten anmerken. Stefan Singer, selbst Gründer des Fanklubs „Flo‘ Town Boys“, kann sich ein Fußballspiel seines Teams ohne dieser vielzitierten „guten Stimmung“ nicht vorstellen: „Bei Rapid hat es vor kurzem ein Match mit Sektorensperre gegeben. Der gesamte Ultras-Sektor durfte nicht ins Stadion. Der Rest hätte allerdings ausverkauft sein können. Es sind aber trotzdem viele nicht gekommen, weil etwas gefehlt hat. Die gute Stimmung gehört bei Vereinen wie Rapid zum Stadionerlebnis dazu. Die Leute wollen eine gute Stimmung im Stadion, denn sonst ist das Spiel um einen Grad uninteressanter.“

Neben dem Stadionerlebnis, das entscheidend beeinflusst wird, fallen Fans auch mit sozialem Verständnis positiv auf. Fanklubs des SK Rapid haben die Spendenaktion „Wiener helfen Wienern“ ins Leben gerufen und spenden laut Singer jährlich einen sechsstelligen Betrag an eine ausgewählte Organisation. In Deutschlands Fankultur sei das gang und gäbe – doch den nötigen Anklang in der Gesellschaft wollen diese Taten in Österreich noch nicht finden, sagt Gabriel. „Es liegt auch an den Vereinen, solche Aspekte stärker in den Vordergrund zu rücken. Es ist wichtig, dieses Engagement stärker ins öffentliche Bewusstsein zu rufen.“
Wünsche an beide Seiten
Faktum jedenfalls für beide Experten in der Fanszene ist, dass nicht alle in den gleichen Topf geworfen werden sollten. Michael Gabriel wünscht sich mehr Verantwortung von Fans selbst, sowohl fußballpolitisch als auch gesamtgesellschaftlich – und von der Polizei mehr Kommunikationswille. Für Stefan Singer ist es wichtig, dass „die Eskalationen weniger werden und die guten Seiten überwiegen“.