Bunte Lichter, laute Musik, erhobene Hände: Bei DIVE IN in Vorarlberg wird der Glaube wie ein Festival gefeiert. Hunderte junge Menschen strömen in die Kirche – auf der Suche nach Spiritualität und Antworten. Doch wie viel Show verträgt der Glaube?
Die Bässe vibrieren, Lichtstrahlen zucken über den Altar. Vor bunten LED-Wänden singen die Besucher:innen laut mit, viele schließen die Augen, ganz in ihren Emotionen versunken. „Wir wollen Glauben erlebbar machen. Wir sind wie das Szene Openair Festival, nur halt mit Gott“, sagt der 23-jährige David Röthlin, Mitgründer von DIVE IN, schmunzelnd.
Die Bewegung aus Vorarlberg füllt mit ihren Events ganze Kirchen – in einer Zeit, in der die katholische Kirche in Österreich massiv Mitglieder verliert. 2023 traten über 85.000 Menschen aus der größten Glaubensgemeinschaft mit rund 4,7 Millionen Menschen aus.
DIVE IN stemmt sich mit modernen Gottesdiensten dagegen. Während ihrer Veranstaltungen ist von Krise nämlich wenig zu spüren. Beim „Easter Special“ nageln etwa 350 Menschen ihre Sorgen ans Holzkreuz. Besucher:innen lassen sich segnen, teilen Glaubenserfahrungen, Priester stehen für Fragen bereit. Auf LED-Leinwänden laufen Videos, Songtexte und QR-Codes zum Spenden.

(Foto: DIVE IN, Elija Nicklaser)
Neben Sachspenden namhafter Vorarlberger Unternehmen sowie freiwilligen Spenden von Besucher:innen wird DIVE IN auch finanziell von der Diözese Feldkirch unterstützt.
Bischof Benno Elbs beschreibt DIVE IN als eine für ihn immer wieder berührende Erfahrung. Die besondere Mischung aus Gebet, Lobpreis, einer kraftvollen Predigt und dem ehrlichen, nachdenklichen Gespräch mit jungen Menschen mache das Format so einzigartig – besonders berühre ihn, wie junge Menschen in dieser offenen und lebendigen Form des Gottesdienstes Gemeinschaft erleben, ihren Glauben vertiefen und Gott begegnen.
„Gerade in einer Zeit, in der viele junge Menschen auf der Suche sind, in der Fragen nach Sinn, Identität und Glaube drängender werden, ist DIVE IN ein Raum, diesen Fragen nachzugehen.“
Bischof Benno Elbs

(Foto: DIVE IN, Elija Nicklaser)
Zwischen Insta-Reels und Lebensfragen
Am Anfang stand eine einfache Frage:
Wohin würde ich meine Klassenfreund:innen mitnehmen, wenn ich ihnen meinen Glauben zeigen will?
„In einen klassischen Gottesdienst nehme ich sie nicht mit, weil ich selber Schwierigkeiten habe, dorthin zu gehen“, sagt Röthlin, der selbst Theologie in Salzburg studiert. „Man macht dort halt einfach mit: Man kniet sich hin, man ministriert und trägt Kerzen herum, aber man kennt die Bedeutung dahinter nicht. Und diese ist eigentlich so cool, so tief, so schön.“
Aus dieser Erfahrung heraus sei die Idee zu DIVE IN entstanden: Kirche neu denken, ohne die Wurzeln zu verlieren. DIVE IN wolle die Beziehung zu Jesus in eine Sprache übersetzen, die junge Menschen verstehen können.

(Foto: DIVE IN, Elija Nicklaser)
Auf TikTok ist dieser jugendliche Glaube schon längst angekommen. Die Zwillinge Lisa und Lena, früher vor allem für ihre Tanzvideos auf TikTok bekannt, teilen heute Bibelverse, sprechen niederschwellig über ihren Glauben und treten bei Freikirchen auf. Der sogenannte Jesus Glow steht für viele Christfluencer:innen für innere Ruhe und Schönheit durch die Liebe Jesu. Kritiker:innen hingegen nennen den Social-Media-Hype rund um das Christentum rückschrittlich und antifeministisch.
Christlicher Glaube mag auf Social Media wieder sichtbar sein, doch oft in Verbindung mit konservativen Werten, wie man an dem Phänomen der TradWife beobachten konnte.
Auf die Frage, wie DIVE IN mit sensiblen Themen wie zum Beispiel Abtreibung umgehe, antwortet Röthlin: „Wir vermitteln christliche Werte, also ein grundsätzliches Ja zum Leben, denn jeder Mensch hat Würde. Aber bei uns wird niemand hören: Du darfst nicht abtreiben. So etwas tolerieren wir bei DIVE IN nicht.“ Das Team arbeite mit klaren Leitfäden, in denen betont wird, dass Mitarbeitende zum Zuhören und Segnen da sind. Bei größeren Fragen soll an professionelle Stellen weiterverwiesen werden. Was jedoch in intimen Gebetsgesprächen wirklich vermittelt wird, lässt sich nur schwer kontrollieren.

(Foto: DIVE IN, Elija Nicklaser)
Zwischen Ekstase und Kontrolle: Wie sicher ist der Event-Glaube?
Sozialethikerin Linda Kreuzer von der Uni Wien sieht DIVE IN zwiegespalten: „Wenn im Leben etwas passiert, das sich nicht so leicht erklären lässt – Schicksalsschläge oder Unsicherheiten, die man nicht einfach wegbeten kann –, dann zeigt sich, wie tragfähig die pastoralen Strukturen in solchen Event-Gemeinschaften wirklich sind.“ Solange alles gut läuft, funktioniere das Konzept, aber in der Krise werde es auf die Probe gestellt.
Die Gemeinschaften wirken auf den ersten Blick oft offen, freundlich und ohne Voraussetzungen. Doch Kreuzer kritisiert, dass die Wertevermittlung oft nebenbei geschieht und wenig Raum für kritische Auseinandersetzung lässt, weil Gefühl und Glaube dominieren.
Röthlin und sein Team wollen dieses Problem nicht ignorieren. Prävention vor Macht- und Gewaltmissbrauch sei ihnen sehr wichtig, vor allem da sie mit jungen Leuten arbeiten. „Du hast nämlich immer Verantwortung, wenn du Menschen für etwas entzündest, für etwas in Bewegung setzt. Du musst sie begleiten – wenn das nicht passiert, kann man von Missbrauch sprechen“, so Röthlin. Der Fokus der Präventionsarbeit werde bei DIVE IN nicht nur auf körperliche und sexuelle Gewalt gelegt, sondern im Speziellen auch auf psychische Gewalt. Neben Leitfäden setzt das Team auf Schulungen: „Jede Person bei uns muss eine Präventionsschulung absolvieren. Wir arbeiten eng mit der Ombudsstelle für Missbrauch zusammen.“
Die Wiener Sozialethikerin sieht DIVE IN sowohl als Chance als auch als Risiko. Solche Formate könnten Menschen emotional erreichen, bergen aber auch die Gefahr, dass spirituelle Erfahrungen zu sehr inszeniert werden. Wichtig sei, dass es klare Strukturen und Ansprechpersonen gebe. Junge Menschen bräuchten nicht nur Gefühl, sondern auch Sicherheit. Gerade bei offenen Formaten müsse auf Schutz und gute Begleitung geachtet werden.
Spirituelles Festival oder kirchliche Zukunft?
Das Publikum nach dem DIVE IN-Event wirkt jedenfalls gelöst. Trotz Regen versammeln sich Besucher:innen vor der Kirche, trinken Limo, lachen, tauschen sich aus. Für Röthlin ist genau das Kirche von morgen: „Es geht um junge Menschen, es geht um Gottes-Erfahrung, Gottes-Beziehung – dass wir aus dieser Erfahrung aktiv werden. Also wir leben das nicht nur für uns, sondern jeder trägt das Gute in die Welt.“
Ob DIVE IN der katholischen Kirche langfristig hilft, ihre Krise zu überwinden? Das bleibt offen. Sicher ist: Das Format trifft bei jungen Menschen einen Nerv.