„Das Land der Nörgler“ – Wie Nationalstolz im österreichischen Sport verankert ist

Trikots, Fahnen und Hymne gehören bei jedem Sportgroßereignis dazu. Doch mit dieser Faneuphorie kommt auch immer wieder folgende Diskussion über Nationalstolz zum Tragen: Wie viel Nationalstolz darf man zeigen?

„Österreich ist das Land der Nörgler, jeder weiß alles besser“ sagt Martin Wachter. Er hat vor über 13 Jahren die „Blutgruppe Rot-Weiß-Rot gegründet. Als Obmann des Fanclubs unterstützt er die österreichische Fußballnationalmannschaft überall. Was sein Fanclub macht: „Gemeinschaft sein, Spaß haben, Länder kennenlernen und die österreichische Mannschaft supporten“

Als eine kleine Gruppe startete der Fanclub im Jahr 2012, mittlerweile zählt er 120 Mitglieder quer durch Österreich. In den vergangenen Jahren hat Wachter mit dem Fanclub einiges erlebt. Die Teilnahme an den vergangenen drei Europameisterschaften, sowie prägende Auswärtsreisen wie beispielsweise nach Stockholm, Moskau oder Montenegro stechen für den Obmann heraus.

„Der Sport dient seit jeher als Bühne, auf der eine große Sichtbarkeit herrscht“, erzählt der Sporthistoriker Rudolf Müllner. Eine Aufgabe, die auch stark durch die Medien transportiert wird, denn ein sportliches Großereignis sei nur mit einer medialen Aufmerksamkeit denkbar. „Besonders ausgeartet ist der österreichische Nationalstolz 1972, als Karl Schranz von den Olympischen Spielen suspendiert wurde“, erklärt Müllner. Schranz wurde damals nach seinem umstrittenen Ausschluss aufgrund des Amateurparagraphen von den Olympischen Spielen frenetisch in Österreich empfangen. „Die großen österreichischen Tageszeitungen und der ORF mobilisierten und vereinten „die Österreicher:innen“ in einer Medienkampagne, gegen den „Außenfeind“ Internationales Olympisches Komitee (IOC)“, erzählt der Sporthistoriker.

Die sportliche Beziehung zu Deutschland

Ganz besonders emotional ist auf sportlicher Ebene die Beziehung zwischen Österreich und Deutschland. „Es ist so eine David-Goliath Beziehung. Das ist die Basis, die sich in vielen Sportbegegnungen realisiert“, sagt Müllner. Der Fußball und das Beispiel Cordoba spielen hier eine exemplarische Rolle. Als Österreich bei der WM 1978 Deutschland mit 3:2 besiegte, war Österreich bereits ausgeschieden, dennoch wird die Geschichte auch jetzt, fast 50 Jahre später, medial noch immer wiederholt. Die ganz banale Schadenfreude über diesen Sieg sei also nach wie vor vorhanden, so der Sporthistoriker.

Auch Fan-Vertreter Wachter bestätigt, dass Spiele gegen Deutschland ganz besonders sind und sich von anderen abheben. Gerade so eine enge Beziehung zwischen Nationen ist dann oft der Gefahr ausgesetzt, Verachtung oder Hass auf den Gegner zu entwickeln. Wachter habe dies allerdings in seiner über 13-jährigen Zeit in der aktiven Fanszene noch nicht wahrgenommen.

Dass Nationalismus im Sport ein Thema ist, bestätigt auch Rudolf Müllner.

„Im Sport ist viel Nationalismus abgehandelt, da der Sport ein Produkt des 19. Jahrhunderts, der Hochzeit des Nationalismus, ist.“

Müllner bekräftigt aber, dass großartige chauvinistische Exzesse in Österreich auf Dauer nicht zu erwarten sind und sich der Nationalstolz im Rahmen dessen bewege, was in den westlichen demokratischen Ländern Standard ist.

Kleinere Exzesse gibt es dennoch immer wieder. So wurde beispielsweise im Rahmen der Fußball-Europameisterschaft 2024 im Spiel Österreich gegen Polen ein Plakat mit dem Spruch „Defend Europe“ im Österreich-Sektor aufgehängt. Ein Spruch, der der rechtsextremen Identitären-Bewegung zuzuordnen ist.  Der Österreichische Fußball-Bund (ÖFB) sowie die aktive Fanszene haben sich davon distanziert. Als Strafe musste der ÖFB jedoch 20.000 Euro zahlen.

Wachter selbst hat den Vorfall im Stadion nicht mitbekommen. Außerdem, so sagt Wachter, kann die aktive Fanszene solche Vorfälle nie zur Gänze vermeiden, wenn sie nicht im unmittelbaren Umfeld passieren. Sollte in seinem Fanclub Hass auf einen Gegner vorkommen, würde die betroffene Person nicht mehr länger im Fanclub sein, so der Obmann.

Nationalsymbole und Gemeinschaft

Symbole zu verwenden, die Nationalstolz repräsentieren, hält der Obmann der Blutgruppe Rot-Weiß-Rot für sehr wichtig. „Farbe zu bekennen“ gebe dem Fanclub selbst schließlich auch die Möglichkeit zu wachsen. Generell hält Wachter mehr Nationalstolz für wünschenswert.

Österreich-Fans beim Public Viewing der Fußball-Europameisterschaft 2024 am Karmeliterplatz in Graz, Quelle: Eigenes Bild

Gerade bei Sport-Großereignissen sieht Müllner „eine Vergemeinschaftung rund um das Thema Nation“.  Das gemeinsame Verfolgen von Sportereignissen, beispielsweise bei Public-Viewings, komme einer analogen Vergemeinschaftung in einer digitalisierten Welt gleich.

Dieses Gemeinschaftsgefühl möchte Martin Wachter vor allem in gut einem Jahr erleben, wenn er mit seinem Fanclub die österreichische Nationalmannschaft bei der Fußball-Weltmeisterschaft in Nordamerika unterstützen möchte. Dafür läuft die Qualifikation nun bis November 2025 und ein positiver Abschluss, würde in Österreich wohl wieder eine Rieseneuphorie auslösen, aber auch eine neuerliche Debatte über Nationalstolz.